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Der Terror im Morgengrauen war generalstabsmäßig vorbereitet
Leibniz-Gymnasiasten erinnerten an die Deportation jüdischer Mitbürger
In Östringen gedachten jetzt unlängst Schülerinnen und Schüler des örtlichen Leibniz-Gymnasiums der zwangsweisen Deportation und Internierung jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger durch die Nationalsozialisten vor 85 Jahren.
Bei der sogenannten Wagner-Bürckel-Aktion, benannt nach den damals als Statthalter der Nationalsozialisten amtierenden Gauleitern, wurden am Morgen des 22. Oktober 1940 Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland ohne Vorankündigung angewiesen, sich binnen zwei Stunden mit maximal 50 Kilogramm Gepäck und höchstens 100 Reichsmark Bargeld an angegebenen Sammelstellen einzufinden, von denen aus sie den mehrtägigen Transport in das Internierungslager Gurs in Südwestfrankreich antreten mussten. Gleichsam „auf einen Schlag“ wurden nach einem perfiden und bis ins Detail ausgearbeiteten Plan insgesamt 6.500 Menschen jäh aus ihrem bisherigen Leben gerissen und in Gewahrsam genommen. Der menschenverachtende Terrorakt fiel damals exakt auf den letzten Tag des jüdischen Laubhüttenfests, das an den Auszug der Israeliten aus Ägypten erinnert, und umfasste auch die Einziehung und die Beschlagnahme aller Vermögenswerte, die von den Deportierten zurückgelassen werden mussten.
Bei der Gedenkstunde am Mahnmal zur Deportation der Östringer Juden vor der Gustav-Wolf-Kunstgalerie betonten die Schülerinnen und Schüler des Leibniz-Gymnasiums in ihren Wortbeiträgen die Bedeutung des Erinnerns und rückten in den Blick, dass sich die damaligen Ereignisse „nicht irgendwo und irgendwann“ zugetragen haben, „sondern genau hier, in Östringen, vor auf den Tag genau 85 Jahren“, wie dies beispielsweise Emily aus der Jahrgangsstufe 2 formulierte. Aus dem beschaulichen Kraichgaudorf jener Zeit traf es damals Ludwig und Amalie Wolf, die von Östringen nach Gurs deportiert und von dort aus später in das Vernichtungslager Auschwitz verschleppt wurden, wo sie im August 1942 umgebracht wurden.
Als Repräsentantin der Stadt dankte Bürgermeisterstellvertreterin Heidi Wagenblaß bei der Gedenkstunde den beteiligten Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften nachdrücklich für ihren wertvollen Beitrag zur Erinnerung an die Ereignisse vom 22. Oktober 1940 und legte mit ihnen gemeinsam am Mahnmal ein Blumengebinde nieder.
„Warum hat damals niemand den Juden geholfen?“, fragte Wagenblaß und mahnte damit verbunden, den antisemitischen Tendenzen der Gegenwart entschlossen entgegenzutreten. Gerade vor wenigen Wochen verunstalteten bislang unbekannte Täter, für deren Identifizierung die Stadt eine Belohnung ausgesetzt hat, das Mahnmal vor der Wolf-Galerie.
Das mittlerweile wieder instandgesetzte Erinnerungszeichen wurde vor genau zehn Jahren ebenfalls von einer Schülergruppe des Leibniz-Gymnasiums entworfen und mit Hilfe von Handwerksbetrieben aus der Region realisiert. Das kleine Monument besteht aus einem Sockel aus rotem Sandstein, auf dem ein Bahnwaggon auf Schienen an die Massendeportation von Juden nach Gurs Bezug nimmt. Obgleich die historischen Fakten dies jedenfalls für die Transporte nach Gurs nicht belegen, entschieden sich die Schüler bei ihrem Mahnmal-Projekt zur Verstärkung der Symbolik ganz bewusst für die Form eines Viehwaggons – sozusagen ein Sinnbild für die menschenunwürdige Behandlung der Juden während der gesamten Zeit des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland. Am Sandstein wiederum zeigt sich eine Abbruchkante, die für den Abgrund steht, dem sich die jüdischen Familien in Deutschland damals gegenüber sahen.
br.








