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Bedarf an zusätzlichem Wohnraum versus Natur- und Landschaftsschutz
Verfahren für geplante Neubauzone Dinkelberg IV birgt etliche Herausforderungen
„Einerseits fordert die Bundes- und Landespolitik von den Kommunen mit Vehemenz die schnelle Schaffung von dringend benötigtem zusätzlichen Wohnraum und in der Praxis haben wir es dann bei der Ausweisung neuer Baugebiete unter anderem mit kontinuierlich steigenden Anforderungen des behördlichen Natur- und Landschaftsschutzes zu tun“ – mit diesen Worten kommentierte nun in Östringen Bürgermeister Felix Geider bei der jüngsten Aussprache des Gemeinderats zum Fortgang der Planungen für die Wohnbauzone „Dinkelberg IV“ einigermaßen frustriert die beachtlichen Verfahrenshürden, mit denen es die Verwaltung bei solchen Projekten mittlerweile zu tun hat.
Und blankes Unverständnis herrschte diesbezüglich auch in den Reihen der Mitglieder des Stadtparlaments vor, die zuvor schon bei ihren vorangegangenen Sitzungen im Juli und September insgesamt gleich fünf in Aufstellung befindliche kleinere Bebauungsplanungen notgedrungen wieder „einzukassieren“ hatten, nachdem das Bundesverwaltungsgericht - auch für viele Experten überraschend - geurteilt hatte, dass die dafür maßgebliche Rechtsgrundlage des Baugesetzbuchs für ein sogenanntes beschleunigtes Planungsverfahren mit europäischem Recht unvereinbar sei.
Ging es bei den davon betroffenen Konzepten „Sauwingert“, „Röte IV“, „Beischloch“, „Raphaelsacker“ und „Lehen“ noch um eher kleinere Abrundungen der Siedlungsgebiete von Östringen, Odenheim und Eichelberg mit einer vergleichsweise geringen Anzahl potentieller neuer Baugrundstücke, bereitet das komplexe und zeitaufwendige Planungsverfahren für „Dinkelberg IV“ schon allein wegen der schieren Größe des Bauquartiers dem Gemeinderat und der Verwaltung durchaus mehr Kopfzerbrechen.
Auf einer Nettobaufläche von rund sieben Hektar sollen bei dem Projekt „Dinkelberg IV“ am westlichen Rand der Kernstadt rund 150 zusätzliche Baugrundstücke entstehen und insgesamt an die 350 neue Wohneinheiten geschaffen werden. Der Aufstellungsbeschluss für die Planung, mit der in dem neuen Quartier am Ende Wohnraum für etwa 700 Menschen bereitgestellt werden soll, wurde vor mittlerweile mehr als sechs Jahren im Juli 2017 gefasst. Während es in einer ersten Phase beispielsweise um Fragen der Erschließung und des Immissionsschutzes ging, die letztlich darin einmündeten, dass die neue Wohnbauzone nach dem aktuellen Stand der Planentwürfe nach Westen hin eine zweite Zufahrtsstraße zu dem auf Höhe des Industriegebiets an der Bundesstraße 292 bereits vorhandenen Kreisverkehrsplatz erhalten wird, folgten danach unter anderem die Gespräche mit der großen Zahl von Eigentümern der im Plangebiet vorhandenen landwirtschaftlich genutzten Flächen und wurde sukzessive auch ein nachhaltiges Energiekonzept für das Quartier erarbeitet.
Zeitlich parallel dazu hatte das Stadtbauamt von den eingebundenen externen Fachplanern schon im Zeitraum bis 2019 auf den von dem künftigen Wohnbaugebiet betroffenen Flächen die notwendigen artenschutzrechtlichen Relevanzuntersuchungen durchführen lassen, die allerdings dieses Jahr wegen neuer allgemeiner natur- und artenschutzrechtlicher Vorgaben aus Stuttgart und Berlin nochmals aktualisiert werden mussten.
Bei der jüngsten Debatte im Gemeinderat informierten nun Sebastian Gerst von der mit der Wahrnehmung der Aufgaben eines Erschließungsträgers beauftragten Gerst Ingenieure GmbH sowie Alexander Warsow vom Esslinger Planungsbüro Blaser über den aktuellen diesbezüglichen Sachstand bei dem Projekt „Dinkelberg IV“.
Wie Warsow informierte, stellen die 2020 beziehungsweise 2022 nochmals verschärften naturschutzrechtlichen Vorgaben von Bund und Land an Bauleitplanungen nun deutlich höhere Anforderungen, sofern beispielsweise Streuobstbestände betroffen sind, die seit vorigem Jahr allesamt grundsätzlich als gesetzlich geschützte Biotope eingestuft werden. Für die Bebauungsplanung „Dinkelberg IV“ muss jetzt zur Kompensation des abgängigen Bestands ein „Streuobst-Ausgleich“ mit einem flächenmäßigen Umfang von 28.919 Quadratmetern herbeigeführt werden, der nach Analyse der bestehenden Optionen auf einem dementsprechend großen Areal in der Feldflur südlich des Stadtteils Odenheim abgebildet werden soll.
Ähnlich komplex stellen sich bei solchen größeren Bauleitkonzepten die planerischen und verfahrenstechnischen Herausforderungen mittlerweile auch in Fragen des Artenschutzes dar, das konnte Warsow bei der Östringer Ratssitzung anhand der gleichermaßen unumgänglichen wie aufwendigen Schutzmaßnahmen für Zaun- und Mauereidechsen belegen. Bei der neuerlichen Erhebung der Population der Zauneidechsen auf der Fläche der geplanten Bauzone „Dinkelberg IV“ hatte man dieses Jahr nun beispielsweise auch das Vorkommen der im Gebiet erstmals 2020 nachgewiesenen Mauereidechse zu verifizieren. Die diesbezüglichen Analysen ergaben zwischenzeitlich, dass es sich um ein sogenanntes „gebietsfremdes“ Vorkommen dieser Gattung handelt, was dazu führt, dass geeignete und ausreichend große neue Reviere für die Mauereidechsen in einem Radius von maximal 500 Metern um das projektierte Baugebiet zu schaffen sind.
Wie nun bei der Sitzung zu hören war, geht es beim „Dinkelberg IV“ um insgesamt rund fünf Hektar geeignete Reptilien-Ersatzhabitate, wobei von den Fachleuten getrennte Ausgleichsflächen für Zaun- und Mauereidechsen angelegt werden müssen.
Wie Alexander Warsow nun den Gemeinderäten berichtete, waren im Rahmen der artenschutzrechtlichen Begutachtungen im Verfahren „Dinkelberg IV“ von den eingeschalteten Experten ferner auch die Vorkommen unter anderem von Goldammer, Haselmaus, Großem Feuerfalter sowie Fledermaus abzuprüfen und zudem musste zur Vorbereitung prüffähiger Unterlagen für die Fachbehörden schließlich auch die Biotopkartierung für das Gebiet nochmals plausibilisiert werden.
Nachdem der Antrag zur Umwandlung geschützter Streuobstbestände nun nach vorangegangener Abstimmung der erforderlichen Unterlagen und Nachweise mit der Fachbehörde bereits im Sommer bei der zuständigen Naturschutzbehörde des Landratsamts Karlsruhe eingereicht werden konnte, wird nun nach Angaben von Gerst und Warsow dieser Tage auch der sich auf die Umsiedlung von Zaun- und Mauereidechsen beziehende artenschutzrechtliche Ausnahmeantrag an das Regierungspräsidium Karlsruhe gestellt.
Als Repräsentant des Erschließungsträgers ging Sebastian Gerst bei der Aussprache im Gemeinderat davon aus, dass im Falle positiver Rückmeldungen des Landratsamts beziehungsweise des Regierungspräsidiums das Bebauungsplanverfahren im kommenden Frühjahr mit dem Satzungsbeschluss zu Ende geführt werden kann. Danach soll das Umlegungsverfahren abgeschlossen werden, so dass im Anschluss von der mit der Realisierung des Wohnquartiers „Dinkelberg IV“ beauftragten Projektentwicklungsgesellschaft die Erschließungsarbeiten ausgeschrieben werden können. Bei planmäßigem Verlauf des weiteren Verfahrens könnte dann ab Oktober 2024 mit der Rodung und Freilegung des Baufelds begonnen werden.
„Wir werden auch weiterhin alles dafür tun, dass dieses für die Stadtentwicklung sehr bedeutsame Baugebiet zeitnah in die Umsetzung kommt“, bekräftigte Bürgermeister Geider am Ende des Sachstandsberichts für den Gemeinderat die kommunalen Zielsetzungen bei dem Projekt.
br.